Die Geschichte der Barmherzigen Schwestern, 150 Jahre Mutterhaus in Augsburg
Unser Mitglied Frau Zellinger-Kratzl ist die Archivarin bei den „Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz v. Paul“ (BS) und hat ein Buch über die Ordensgeschichte und das Mutterhaus in Augsburg geschrieben.
Gegründet wurde der Orden (spirituelle Gründer: Vinzenz v. Paul und Louisa de Marillac) 1633 als „Töchter der christlichen Liebe“ in Paris (heutiger Name Vincentinerinnen von Paris). Die Aufgabe war: sie sollten in der Gesellschaft tätig werden. In Zabern, in der Nähe von Straßburg, wurde 1734 der vincentinische Zweig der BS gegründet. Der Pflegenotstand infolge der Säkularisation (Auflösung der Krankenpflegeorden) sowie der Politikwechsel (König Ludwig I.) führten zum Bau des Ersten Allgemeinen Krankenhauses in München und dem Wunsch, dass die BS das Krankenhaus leiten sollen. 1832 erreichten die ersten beiden Schwestern München und bauten das Mutterhaus auf (erste Generaloberin war Ignatia Jorth, die 12 Jahre wirkte). Rasche Erfolge, Verbesserung von Hygiene, Kost und Pflege bei gleichzeitiger Kostenminderung (z.B. durch eignen Gemüseanbau) führten zur Gründung bzw. Übernahme weiterer Krankenhäuser, z.B. in Landshut.
In Augsburg, eine bikonfessionelle Stadt, gab es reichlich Probleme und lange Diskussionen im Magistrat, da der konfessionelle Friede in Gefahr gesehen wurde. Das Bach'sche Seelhaus sollte wiederbelebt werden – Problem: In den Statuten des Ordens war eine ambulante Versorgung von Kranken nicht vorgesehen. Es folgte der Ankauf des Barbarahofes, die BS waren zuständig für das Haus und sollten Seeljungfrauen für die ambulante Pflege ausbilden. 1847 zogen drei Schwestern in den Barbarahof und bildeten 8 Seeljungfrauen aus, die Nachfrage war da – auch von protestantischen Patienten. Der nächste Schritt war der Wunsch, Schwestern am Krankenhaus zu haben. Die Henle-Stiftung ermöglichte den Neubau eines Krankenhauses (Bedingung der Stiftung, Mutterhaus in Augsburg, das führte zu Problemen) unter der Bedingung, dass es von BS geführt wurde. Das bisherige Zucht- und Arbeitshaus war marode, das neue Krankenhaus (spätere Hauptkrankenhaus) wurde gebaut. Der Ostflügel war katholisch und wurde von den BS betreut, der Mittelbau und Funktionstrakt war bikonfessionell und der Westflügel protestantisch und wurde von den Diakonissen versorgt. Die Zusammenarbeit der beiden Orden funktionierte gut. Am 9. August 1859 übernahm der Orden der BS als Filiale vom Mutterhaus in München die pflegerische und ökonomische Führung des Krankenhauses.
Der Bau des Mutterhauses in Augsburg zog sich hin und wurde von den Liberalen immer wieder torpediert. Nach einer Pressekampagne wurde ein städtisches Untersuchungskomitee gegründet, das zu dem Ergebnis (1861) kam, dass alle Vorwürfe haltlos waren. Die Rettung kam mit Franz-Xaver Stadler, der den BS ein Haus neben dem Krankenhaus schenkte, dort wurde das Mutterhaus errichtet und später erweitert. Sr. Angela Riemann war die erste Oberin in Augsburg (12.08.1862), am 13.08.1862 erfolgte durch Bischof Pankratius von Dinkel die rechtliche Anerkennung des Mutterhauses.
Frau Zellinger-Kratzl ging im Anschluss auf die Filialentwicklung ein. 1936 gab es 88 Filialen, danach wurden es weniger (Drittes Reich und Krieg). Das Hauptaufgabengebiet war immer die Krankenpflege. Im Laufe der Zeit kamen die Ambulante Pflege, Altenpflege, Kinderbetreuung, Kinderkrankenpflege und Haushaltsführung sowie Landwirtschaft dazu. Die Bezahlung war anfangs das Biergeld (1 Liter Bier pro Schwester und Tag). Die Referentin stellte einige Filialen vor, Krankenhäuser, Privatkliniken und die erste Krippenanstalt St. Joseph in Hettenbach, die 1872 gegründet wurde (Hintergrund: beide Eltern waren bei der Arbeit, schwierige soziale Verhältnisse, Kinder waren nicht versorgt). Neben der Geschichte des Vinzenz-Krankenhauses in Pfronten ging sie auf das Vinzentinum in Augsburg (Krankenhaus, Gesundheitszentrum) und der Geschichte des Mutterhauses in Dießen am Ammersee ein.
Die Mitgliederentwicklung in Augsburg war bis 1939 immer steigend (927 Schwestern 1939), 1970 waren es noch 727, immer weniger traten dem Orden bei, 1990 mit 368 Schwestern war der Tiefpunkt noch nicht erreicht, heute sind es 109 und werden stetig weniger (Altersstruktur). Die Schwestern rekrutierten sich aus der ländlichen Gemeinschaft, aus kinderreichen Familien, häufig aus dem Allgäu. Was motivierte Frauen in den Orden einzutreten? Neben dem hohen sozialen Ansehen, Vorbildern aus der Verwandtschaft oder dem Dorf und der Frömmigkeit war es eine Alternative zum Beruf der Magd oder Bäuerin, ferner waren die Anforderungen an Bildung und die Mitgift nicht hoch. Geboten wurde eine Ausbildung zur Krankenschwester und Sicherheit. Die Ordensausbildung dauerte 3 Jahre, 1. Jahr Postulantin, 2 Jahre Noviziat, dann Professaufnahme in den Orden, anfangs zeitliche Gelübde, das jedes Jahr erneuert wurde, ab 1942 ewige Profess.
Zuletzt ging die Referentin auf die Kongregation heute ein. Das Mutterhaus von 1967 (vorher Dießen) bis 2010 in Augsburg-Göggingen, wurde inzwischen neu gebaut und den Bedürfnissen der Kongregation angepasst. „Pflege und Wohnen“ - im neuen Mutterhaus, können alle Schwestern im Ruhestand versorgt werden und später auch anderweitig genutzt werden. Das alte Haus wurde von der kath. Akademie (1968-1971), katholische Fakultät (1971-1977) und als Priesterseminar (1971-1987) genutzt, da es reichlich Platz bot. Eine Veränderung brachte das II. Vatikanum mit grundlegenden Reformen, neue Lebensordnung, neue Tracht (Flügelhauben wurden abgeschafft) und Öffnung nach außen. Durch den Rückgang der Schwestern mussten viele Filialen geschlossen werden, heute gibt es noch das City-Café in Kempten, das Vincentinum in Augsburg und das Sonnenheim in Füssen.
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