"evangelische Vorfahren" und Reformierte/Calvinisten/Hugenotten in Bayern
Der erste Teil des Vortrages behandelte die evangelische Familienforschung in Bayern. Als Martin Luther 1517 seine 95 Thesen an die Schlosskirche in zu Wittenberg geschlagen hatte, um die Auswüchse in der katholischen Kirche, vor allem den Ablasshandel, einzudämmen, konnte er die preußischen und zum Teil die sächsischen Herrscher für seine Ideen gewinnen. In Schwaben traten die Städte Kempten, Nördlingen und Kaufbeuren zum evangelischen Glauben über. In Unterfranken Castell und südlich von Passau bildete sich die evangelische Enklave Reichsgrafschaft Ortenburg, wohin auch viele Glaubensflüchtlinge um 1620 aus dem Land ob der Enns (heute Oberösterreich) kamen. Ein zweiter Strom von ca. 30.000 protestantischen Exulanten kam 1731/32 aus dem Salzburger Land. Von diesen blieb aber nur ein geringer Teil in Bayern. Die meisten wurden vom preußischen König Friedrich Wilhelm I. aufgenommen und nach Ostpreußen geschickt, um dort das Land wieder zu bevölkern. In München wurde erst durch die Ehe von Maximilian I. Joseph mit der evangelischen Prinzessin Karoline von Baden der Protestantismus gleichberechtigter Glaube. Nach ihr wurde auch der Ort mit der ältesten evangelischen Kirche in Oberbayern (eingeweiht 1822) benannt: Großkarolinenfeld.
Die evangelischen Kirchenbücher wurden auf Anordnung Luthers ab 1525 geführt. Etwa 25 % der bayerischen Matrikel sind im Evangelischen Landesarchiv in Nürnberg, die restlichen noch in den Pfarreien. Die Bücher der Evangelisch-Lutherischen und Evangelisch-Reformierten der Rheinpfalz, die bis 1945 zu Bayern gehörte, sind im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer zu finden.
Ausgehend von Fragestellungen zum Verständnis des Umfeldes eines ihrer Vorfahren, einem Prediger der französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt a. M. Mitte des 17. Jahrhunderts, ging Frau Kolb im zweiten Teil, einem von umfangreichem Bildmaterial begleiteten Vortrag, den Hintergründen dieser religiösen Richtung nach. Der zeitliche Bogen führte zurück in die Anfänge der reformierten Glaubensbewegungen zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Da nicht-lutherische Glaubensrichtungen als illegitim angesehen wurden, waren Reformierte/Calvinisten/Hugenotten in ganz Europa nur zeitweise geduldet, worauf die hohe Mobilität und das starke interne Netzwerk von Familien und Handelsbeziehungen zurückgeführt werden kann. München bietet in dieser Hinsicht ein nur kurzes Kapitel, dort hat man reformatorische Bestrebungen frühzeitig zu bekämpfen gewusst. Hunderte Familien, oftmals die besser gestellten, hatten München im 16. Jh. nach Repressalien den Rücken gekehrt und waren in freie Reichstädte wie Ulm und Augsburg gezogen.
Anhand von Biografiebeispielen zeigte Frau Kolb auf, wie eine Forschung innerhalb solcher Familien, z. B. ausgehend von einem Nürnberger Handelmann und Bankgründer, schließlich in die Niederlande führen kann, wo dessen Onkel ein "Geusenkapitän" war und dort einen Partisanenkampf gegen die spanischen Besatzer führte. Oder wie man bei der Recherche zu einer Familie, die in Nürnberg, Prag, Wien und Basel vertreten war, schließlich in Oberitalien "landet", wo sich heute noch der ursprüngliche Familienpalazzo befindet.
Wer reformierte Vorfahren hat, kann sich auf eine internationale Forschungsaufgabe freuen. Im Gespräch mit den Teilnehmern wurden auch Unterschiede zwischen den diversen reformierten Bewegungen erörtert, Unterschiede zum Luthertum, sowie die Begriffe Calvinisten und Hugenotten. Auch Aspekte zu Architektur, Kunst, Wirtschaft und Soziologie, bezogen auf Wirkung und Selbstverständnis der Reformierten, wurden vorgestellt.
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