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Patrizier – Wege zur städtischen Oligarchie und zum Landadel. Süddeutschland im Städtevergleich
Seit dem 16. Jahrhundert wird die politische und gesellschaftliche Führungsschicht der Reichsstadt Nürnberg Patriziat genannt, was auf den Ratskonsulenten Scheurl zurückgeht, der 1516 die Nürnberger Geschlechter in Rückgriff auf das antike Rom „patricii“ nannte. Das mittelalterliche Patriziat nannte sich selbst "Geschlechter", wie es für mehrere Städte bezeugt ist. Mit dem Tanzstatut von 1521 schloss sich das Nürnberger Patriziat und zugleich der Magistrat standespolitisch ab und behielt bis zum Ende des Alten Reiches seine politische Bedeutung als Führungsschicht und Rat der Stadt. Viele Familien fanden hier eine steile Karriere, wie z. B. die Tucher und erlangten Reichtum unter anderem durch den Fernhandel. Typischerweise strebten diese Familien, die sich als Stadtadel begriffen, auch den Stand als Adelige und die Gleichsetzung mit der Reichsritterschaft an (Michael Diefenbacher, Nürnberger Patrizier, publiziert am 09.03.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Nürnberger_Patrizier (18.11.2016); Matthias Kirchhoff, Tucher von Simmelsdorf (Familie), publiziert am 24.10.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Tucher_von_Simmelsdorf_(Familie) (18.11.2016); Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter. 1250–1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988).
Demnach untersuchte die Tagung das Phänomen dieser Patrizier auf dem Weg zur städtischen Oligarchie und auf dem Weg zum Landadel, wobei neben einem Schwerpunkt zu Nürnberg eben auch die Betrachtung der Entwicklung der Führungsschichten und des Stadtadels anderer süddeutscher Städte angestrebt wurde.
Das von der Friedrich Freiherr von Haller`schen Forschungsstiftung und der Dr. Lorenz Tucher’schen Stiftung unterstützte Symposium tagte vom 7. bis 8. Oktober im Egloffstein’schen Palais in Erlangen und wurde vom Lehrstuhl für Bayerische und Fränkische Landesgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in Kooperation mit dem Zentralinstitut für Regionenforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, dem Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg, dem Historischen Verein für Schwaben, der Bezirksgruppe Schwaben des bayerischen Landesvereins für Familienkunde e.V. und der Gesellschaft für Familienforschung in Franken e.V. veranstaltet.
Nach einer Begrüßung der Gäste und Referenten führte der Veranstalter Wolfgang Wüst (Erlangen) in das Tagungsprogramm ein und stellte dessen Konzeption vor. So wies er auf die komparatistische Methode und damit den Vergleich als landeshistorische Tradition hin, die sich im Aufbau der Tagung wiederfindet und in den Diskussionen der einzelnen Vorträge berücksichtigt werden sollte. Zudem wird der Begriff der „Patricii“ als Bezeichnung der Geschlechter kritisch beleuchtet und definiert, wobei auf die mittelalterliche Bezeichnung der „Herren“ und „vornehmen Geschlechter“ hingewiesen wird.
Die erste Sektion zum Thema „Nürnberg – Eldorado der Patrizier“ eröffnete WALTER BAUERNFEIND (Nürnberg) zur Adelslandschaft im Spiegel der „Burgen, Schlösser, Herrensitze im Nürnberger Land“, womit er das Vortragsthema des erkrankten MICHAEL DIEFENBACHER (Nürnberg) übernahm. Nach einer kurzen Übersicht zur Geschichte des Nürnberger Patriziats sowie zur Struktur der drei Ratsgremien der Reichsstadt führte Walter Bauernfeind in die Sozialtopographie der Stadt Nürnberg ein. So bevorzugte das Patriziat bestimmte Wohnorte in der Stadt, wie den Halbkreis um die Egidienkirche und die Wohngegend am Salzmarkt, an denen es Stadtpaläste, zum Teil auch mit Gärten und Badehäusern errichtete. Außerhalb der Stadt besaßen die Patrizier zudem zahlreiche Herrensitze im Nürnberger Land, darunter auch burgenartige Renaissancebauten und Barockschlösschen, deren Besitzergeschichte Walter Bauernfeind anhand einiger Beispiele, wie die Oberbürg, das Schloss in Henfenfeld, Schloss Neunhof und Schloss Almoshof erläuterte.
Über das „Selbstverständnis reichsstädtischer Oligarchen“ in Nürnberg referierte WOLFGANG WÜST (Erlangen), der in seinen Vortrag inhaltliche Schwerpunkte zu Herkunft, Alter und Geschlecht des Patriziats, zu Exklusivität und Luxus sowie zu deren Landsitzen, die Rang und Stellung auch außerhalb der eigentlichen Stadt repräsentierten, setzte. Besonders anschaulich wies er auf die konstruierten Stammbäume mancher Geschlechter, wie zum Beispiel die der Familie Welser, auf angeblich antike Abstammungen sowie auf das Bestreben der Familien, eine Gleichstellung zur Reichsritterschaft zu erlangen, hin – was in manchen Fällen sogar erreicht werden konnte. Die Exklusivität der gesellschaftlichen Gruppe der Patrizier zeigte er anhand von Kleidung- und Hochzeitsordnungen, die zugleich deren Abgrenzung zu anderen Schichten in der Stadt bezeugten und wies daraufhin, dass diese Verordnungen ebenso in anderen Städten wie Augsburg und Schweinfurt zu finden sind.
WERNER W. SCHNABEL (Erlangen) verdeutlichte anhand von Einträgen in Stammbüchern, sogenannten Philotheken, die wechselhaften Beziehungen zwischen „Patriziat und Exulantenadel in Nürnberg des 17. Jahrhunderts“. Damit stellte er das Verhältnis zwischen den Patrizierfamilien und den vermögenden neuen Fremden, darunter seit 1629/30 vor allem österreichischer Exulantenadel, in der Reichsstadt dar. Problematisch waren hier zum Beispiel standesrechtliche Konflikte, Schuldenstreitigkeiten sowie die Konkurrenz um Ressourcen, es handelte sich also um wirtschaftliche, fiskalische und juristische Auseinandersetzungen. Im gesellschaftlichen Leben und Miteinander zeigte Werner W. Schnabel auf, dass kein Misstrauensverhältnis zwischen den beiden Gruppen herrschte. Die Einträge der Stammbücher dokumentieren dabei Begegnungen und Wertschätzungen, sie wurden als Erinnerungsstützen genutzt. Dennoch waren gerade in den österreichischen Stammbüchern vor allem andere adelige Familien und weniger Mitglieder des Nürnberger Patriziats zu finden.
Einen interessanten Einblick in „die Dr. Lorenz Tucher‘sche Stiftung von 1503“ gab THOMAS HÖRLBACHER (Nürnberg). Hierbei führte er als erster externer Administrator der Stiftung das Plenum zuerst zu deren Anfängen im 16. Jahrhundert zurück. Der Nachlass des Propstes zu St. Lorenz entwickelte sich rasch zu einer der größten Stiftungen, die beispielsweise den „Englischen Gruß“ in der Lorenzkirche finanziert hatte. Daraufhin wurde der Bogen zum heutigen Zustand der Stiftung gespannt, die nun als nicht-gemeinnützige Kapitalgesellschaft vor allem der Ausbildungs-und Sprachförderung junger Tucher in aller Welt dient. Seit 2000 wirkt die Stiftung als aktiver Vermögensmanager und widmet sich der Immobilien- und Grundstücksverwaltung, Projektentwicklung, Forstwirtschaft sowie der Unterhaltung von Freizeiteinrichtungen. Die 2012 gegründete gemeinnützige Tucher’sche Kulturstiftung fördert die Kultur- und Familiengeschichte. Insgesamt wurde deutlich, wie sehr sorgfältige Planung notwendig ist, um dem Wertekonnex aus „Region – Tradition – Familie“ gerecht zu werden.
Darauffolgend stellte MATTHIAS NUDING (Nürnberg) „Die Patrizischen Archive und Sammlungen im Germanischen Nationalmuseum“ vor. Nach der Gründung des Museums durch Hans von und zu Aufseß im Jahre 1852 verband sich eine lange Geschichte des Zusammenwirkens der Kulturinstitution mit dem Nürnberger Patriziat. So hatten im Laufe der Zeit etliche patrizische Familien Archivalia, Büchersammlungen, Kunstwerke und kunsthandwerkliche Erzeugnisse – größtenteils als Dauerleihgaben – an das Museum gegeben. Auch die finanzielle Unterstützung durch einige Familien war und ist Ausdruck dieser Symbiose. Anhand vieler Beispiele wurde sichtbar, wie viel Potential auch hier noch für die Forschung sicher verwahrt liegt. Um nur eine Auswahl zu nennen: Im Historischen Archiv des Museums warten unter anderem Zeugnisse der Kreß, Imhoff und Behaim auf eingehende Betrachtung. So leistet das Germanische Nationalmuseum einen großen Beitrag zur Bewahrung des kulturellen Erbes des Nürnberger Patriziats.
Sehr anschaulich und mit vielen Bildern führte BERTHOLD FREIHERR VON HALLER (Nürnberg-Großgründlach) das Plenum in die Geschichte der Familie „Haller von Hallerstein“ ein. Im Jahre 1293 erstmals urkundlich erwähnt, zeichnet sich die Familie durch das Alleinstellungsmerkmal aus, bis 1806 ohne Unterbrechung im Inneren Rat der Reichsstadt Nürnberg vertreten gewesen zu sein. Im chronologischen Durchzug leitete der Vortrag durch die verschiedenen Stationen der Patrizierfamilie: Der finanzielle Erfolg durch Handel, Geld- und Montangeschäfte spiegelte sich bald in Grund- und Gutserwerbungen wider und die Familie gelangte schließlich im 15./16. Jahrhundert zu einem Machthöhepunkt. Ein zweiter, bis heute bestehender Zweig der Familie wurde in Ungarn und Siebenbürgen ansässig. Im 18. Jahrhundert erlebte die Familie eine Nachblüte und sie wurde 1790 in den Reichsfreiherrenstand erhoben. Anhand vieler Kurzbiographien setzte sich ein lebendiges Bild von einer heute noch sehr aktiven Familie zusammen.
„Das Nürnberger Patriziat in der Moderne“ stellte GEORG SEIDERER (Erlangen) vor und gab einen Einblick, inwiefern sich die Umbruchszeit der Moderne auf den Nürnberger Stadtadel ausgewirkt hatte. Bereits durch den Grundvertrag von 1794 kam es zu einer Umstrukturierung in der Stadtregierung und 1806 endeten mit der reichsstädtischen Ära auch die Privilegien der ratsfähigen Geschlechter. Georg Seiderer zeigte auf, wie es im 19. Jahrhundert durch eine schrittweise Ablösung von der bisherigen patrizischen Tradition hin zu einer allmählichen Integration in das Königreich Bayern und in den bayerischen Adel kam. Diese Änderungen stellte er auch anhand der sich verändernden Erwerbsbasis sowie der sich den neuen Umständen angepassten Heirats-gewohnheiten dar. Als Schlagworte wurden hier der „Funktionswandel“ sowie der Trend zur „Verbürgerlichung“ genannt. Was uns heute bleibt, sind 16 noch blühende Familien, die sich immer noch in ihren Familienstiftungen sowie ihrem patrizischen Gemeinschaftsbewusstsein ausdrücken.
In einem abschließenden Abendvortrag zur ersten Sektion zum Thema „Nürnberg – Eldorado der Patrizier“ (ent-)führte PETER FLEISCHMANN (Nürnberg) die Zuhörer in die Welt der ratsfähigen Familien, dem „Rat und Patriziat in Nürnberg“, und dies in einer Stadt, die im 16. Jahrhundert etwa 50.000 und nach der Katastrophe des 30-jährigen Krieges circa 25.000 Einwohner umfasste. Die Entstehung des Rates ist auf das 13. Jahrhundert zurückzuführen, als sehr alte und bedeutende Geschlechter, wie die Geuder, Eisvogel, Mendel und Groß zunächst neben dem Reichsschultheißen 13 „scabini“ und 13 „consules“ bildeten, woraus der kleine Rat, bestehend aus 26 Bürgermeistern, entstand. Im 15. Jahrhundert erweiterte sich der Kreis der Familien um beispielsweise die Imhoff, Kreß, Pirckheimer und Welser. Durch das Erlöschen einiger Familien konnten im 18. Jahrhundert unter anderem die bisher ratsnahen Gugel, Waldstromer und Peßler Aufnahme finden. Anhand eines klar strukturierten Schaubildes der Ratsstube, in welcher Politik gemacht und die Ratsverlässe protokolliert wurden, konnte Peter Fleischmann dem Plenum die verschiedenen Ämter, den Aufbau und die Organisation des Rates deutlich vor Auge führen.
Die zweite Sektion war dem Städtevergleich gewidmet. Im Vergleich zu Nürnberg, dem „Eldorado der Patrizier“, wurden die Führungsschichten in weiteren süddeutschen Städten betrachtet. Die Sektion bot aber auch Raum für weitere Fragestellungen um das Tagungsthema, wie die Patriziergesellschaften, die Literaturproduktion der Patrizier und die Patrizierforschung im Bereich der Familienkunde.
KARL BORCHARDT (München)stellte zu Beginn die von mehreren Zäsuren geprägte „Entwicklung von Patriziat und Ehrbarkeit in Rothenburg ob der Tauber“ vor, wobei er für Rothenburg die Bezeichnung „ehrbare Geschlechter“ bevorzugte. Durch das vollständige Verschwinden eines spätstaufischen Meliorats im 14. Jahrhundert und dem Austausch von ratsfähigen Familien nach der Einführung der Reformation kam es zu Kontinuitätsbrüchen. Ein weiterer Wandel zeichnete sich nach 1648 mit der Einführung von Ratsgehältern ab, die möglicherweise zu einer Beamtenoligarchie führte.
Die Eigenart der „Patrizier in der Königs- und Reichsstadt Frankfurt am Main“ wurde von ANDREAS HANSERT (Frankfurt am Main) anhand von vier Perioden dargestellt. Nach einer Phase der Ausbildung kommunaler Selbstverwaltung mit einem egalitären Bürgerrecht folgte im 14. Jahrhundert die Etablierung von Patriziergesellschaften, unter denen zur Blütezeit des Patriziats im 17. Jahrhundert besonders die Gesellschaften „Frauenstein“ und die führende und geburts-aristokratische „Alten-Limpurg“ zu erwähnen sind. Beide wurden in der Folge eines Verfassungskonfliktes (1705–1732) von Juristenfamilien und Handelsleuten zurückgedrängt.
Auch für „das Patriziat der Reichsstadt Kempten“ spielte eine Patriziergesellschaft eine bedeutende Rolle, wie FRANZ-RASSO BÖCK (Kempten) veranschaulichte, wobei auch er zur Vorsicht bei der Verwendung des Begriffes „Patrizier“ für Kempten mahnte. Nach einem langwierigen Lösungsprozess aus der Abhängigkeit des Fürststifts konnten sich auch in Kempten eigene Verwaltungsorgane, „Patriziat“ und Zünfte entwickeln. Eine besondere Rolle spielte hierbei die Gesellschaft der „Müßiggengel-Zunft“, zu der auch Handwerker gegen Gebühr Zutritt hatten.
STEFAN LANG (Ulm) berichtete im Anschluss vom „Ulmer Patriziat“, das in der Mitte des 16. Jahrhunderts in den kollektiven Adelsstand erhoben wurde und die alleinige Macht im Rat besaß. Die Gesellschaft zur „Oberen Stube“ bildete sich als Zentrum für das Patriziat heraus. Neben wenigen Familien, wie die Krafft, Besserer, Roth, Schad und Ehinger, die in der Stadt die Politik prägten und auch meist reichsunmittelbare Herrschaften besaßen, gab es im Patriziat auch viele einflussarme Familien mit wenig Besitz und einer hohen Fluktuation. Ein Aufstieg in den Kreis der Patrizier war, wie in Nürnberg, für Handwerker und Kauflaute kaum möglich.
Mit MICHAEL STEPHAN (München) wurden das „Patriziat und die Ratsverfassung in München“, in den Mittelpunkt gestellt, wobei sich einige Parallelen zu Nürnberg und weiteren Reichsstädten fanden. Auch hier ging die Herausbildung einer politischen und gesellschaftlichen Führungsschicht auf die Entstehung des Münchner Rates und damit der städtischen Ratsverfassung zurück. 1295 erscheint erstmals eine Urkunde mit den Namen von zwölf Ratsmitgliedern. Es folgt eine lückenlose Überlieferung der Personennamen durch die Protokolle bis 1808. Interessant waren auch die Braulehen, die durch den Landesherren vergeben wurden. Letzterer erlangte im Laufe der Frühen Neuzeit immer mehr Mitspracherecht im Stadtgeschehen wodurch der Einfluss des inneren Rates stark zurückgedrängt wurde. Gleichzeitig zeigte sich im Patriziat eine Tendenz zur Entbürgerlichung der Familien und zum Teil sogar der völlige Übertritt dieser in den Landadel.
Die Konstanzer Geschlechtergesellschaft „Zur Katz“, die über etwa 400 Jahre ein mitbestimmender Faktor der Bischofsstadt gewesen ist, war das Thema von CHRISTOPH HEIERMANN (Dresden). Diese unterhielt Trinkstuben und war die politische Organisation der Geschlechter, die sich auch mit den Zünften auseinandersetzten musste. Das Haus zur „Alten Katze“ wurde 1363 zum ersten Mal schriftlich erwähnt, als es als Tatort in einem Mordfall verwickelt wurde. Im Zusammenhang mit einem weit niedrigeren Vergehen findet sich für das Jahr 1376 eine Verurteilung wegen Fluchen auf der Gesellenstube. Zur Wahrung des Rechtsfriedens wurden hier ein Stubenaufseher und ein Stubenknecht eingesetzt. Wurden im 15. Jahrhundert auch noch Zunftbürger aufgenommen, so zeigte sich im 16. Jahrhundert eine starke Tendenz zur Exklusivität und Betonung adeliger Herkunft. Auch Frauen wurden in dieser Gesellschaft aufgenommen, was durch Anwesenheitslisten und Mitgliederverzeichnisse bezeugt ist.
HEINER STAUDER (Lindau) brachte den Zuhörern die um 1550 3.000 Einwohner umfassende Stadt Lindau näher, die ihren reichsstädtischen Rang unter anderem mit einer Galgeninsel demonstrierte und einen Hafen als zentralen Verkehrsknotenpunkt für einen bedeutenden Warenumschlag aufweisen konnte. Hier eröffneten 1350 die ehrbaren Familien die Trinkstube „Sünfzen“ als Reaktion auf den Einfluss der Zunftmeister in der Stadtregierung. 1430 bekam sie ihre erste Satzung, welche im Laufe der Frühen Neuzeit viermal erweitert und erneuert wurde. Hier regelte zwar ein Dienstplan die Bewirtung und Friedenswahrung, dennoch gab es 1661 einen Erlass gegen das ordnungswidrige „Saufen und Fluchen“. Zu Reichtum demonstrierenden Schauessen mit Kokosnüssen und allerhand exotischem Essen waren auch Frauen zugelassen. Um 1700 zeigte sich auch hier ein Hang zur Exklusivität und verschärften Aufnahmeregelungen. 1785 wurde in der Mittwochsgesellschaft mit anwesenden Frauen – der damaligen Mode entsprechend – Tee gereicht.
In seinem Vortrag „Fugger, Welser, Langenmantel als Vorfahren – das Patriziat als spannendes Entdeckungsfeld eines Laienforschers“ gab MANFRED WEGELE (Tapfheim-Donaumünster) Einblicke in die genealogische Familienforschung. Anhand der Forschungsergebnisse zu seiner eigenen Familie stellte er dar, mit welchem Quellenmaterial er arbeitet und welche Literatur sich empfiehlt, um den Fokus auf das Auffinden von speziellen Personen(gruppen) – hier Patriziern – zu legen. Es zeigten sich methodische und intentionale Besonderheiten der genealogischen Familienforschung. Hierbei wurde insbesondere der persönliche und emotionale Bezug am Forschungsergebnis deutlich, der nicht von einer wissenschaftlichen Fragestellung motiviert ist, sich aber die Quellenkritik und allgemeine wissenschaftliche Standards zu Nutzen macht.
KLAUS WOLF (Augsburg) zeigte in seinem Städtevergleich über die „Spätmittelalterliche Literatur der Patrizier“ auf, welchen Einfluss das Patriziat in Nürnberg, Augsburg sowie Frankfurt am Main auf die Literatur und Kultur ihrer Zeit hatten. Dies zeigt sich unter anderem in literarischen Sammeltätigkeiten, wie dem Codex Manesse sowie in Adaptionen städtischer Kultur in bekannte Sagenkomplexe oder in den Passions- und Fastnachtsspielen städteübergreifend. Insbesondere Letzteres veranschaulicht die hohe repräsentative Funktion der literarischen Tätigkeiten in der städtischen Öffentlichkeit. Dies entstand im Bewusstsein eines unabhängigen literarischen Lebens im Gegensatz zu Residenzstädten in denen der Hof und teilweise auch die Universität das kulturelle Leben bestimmten. In der Situation von Augsburg, Nürnberg und Frankfurt am Main hatten die Patrizier dieses, in ihren Städten entstandene, kulturelle Vakuum zu füllen.
Die Tagung zum Wesen der Patrizier profitierte stark durch die Methode des Vergleiches. So konnte in den Diskussionen und in den einzelnen Vorträgen – speziell in der zweiten Sektion zum Städtevergleich – jeweils Bezug zu den Entwicklungen und Gegebenheiten in der Reichsstadt Nürnberg sowie in den anderen behandelten Städten hergestellt werden. Im Vergleich erschlossen sich sowohl Gemeinsamkeiten als auch Besonderheiten in den jeweiligen Städten. Dass dabei oftmals Nürnberg als Vergleichsgegenstand im Mittelpunkt zu finden war – nicht zuletzt vorgegeben durch die erste Sektion zu Nürnberg als das Eldorado für Patrizier – kann durchaus als Vorteil, zugleich aber auch als Nachteil bewertet werden. Relativ einig war man sich darüber, dass der Begriff des „Patriziats“, der vor allem als Forschungsbegriff für Nürnberg steht, nicht auf alle Städte gleichermaßen übertragen werden kann und damit der mittelalterliche, quellennahe Begriff der „ehrbaren Geschlechter“ oftmals bevorzugt werden sollte.
Tagungsbericht von: Marina Heller unter Mitarbeit von Lisa Bauereisen, Theresa Lind, Martin Seeburg, Benjamin Schmid (Lehrstuhl für Bayerische und Fränkische Landesgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg).
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Anleitung und Einführung von Familienforschungsanfängern im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg
Statt des ursprünglich geplanten abendlichen Vortrages zu den online gestellten Passauer Kirchenbüchern findet im Bischöflichen Zentralarchiv in Regensburg ganztägig eine „Anleitung“ von Forschungsanfängern statt. Die Archivdirektorin Dr. Camila Weber und ihr Team haben für die Bezirksgruppe einen gesonderten Raum mit einigen Microfiche-Lesegeräten bereitgestellt. Die angemeldeten Teilnehmer haben hier die Möglichkeit mit den verfilmten Matrikelbüchern zu forschen und bei Problemen direkt Hilfe durch das Team der Bezirksgruppenleitung zu erhalten. Beim gemeinsamen Mittagessen mit den Teilnehmern werden sodann schon einige neue Erkenntnisse besprochen, bevor es am Nachmittag in die „2. Runde“ der Forschung geht. Bei allen findet dieser Tag durchwegs positive Resonanz und auch das Archivteam steht einer Wiederholung durchaus offen gegenüber.
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Stern unter den Schönen - ein Skandal am Münchner Hof
Dr. Maria Magdalena Leonhard stellte ihr neues Buch „Stern unter den Schönen – Ein Skandal am Münchner Hof“ vor, das sich mit der Geschichte der Franzisca Baronin von Heppenstein befasst. Die Romanbiographie basiert auf den erhaltenen Zeugnissen, die die Autorin während ihrer Recherchen zum Tod der Fanny von Ickstatt fand, einer Tochter aus der ersten Ehe der Baronin. Bis zum mysteriösen Sturz ihrer Tochter vom Nordturm der Frauenkirche am 14. Januar 1785 war die Mutter eine umworbene und gefeierte Persönlichkeit am Münchner Hof von Kurfürst Max III. Joseph gewesen. In der Tragödie spielte die Baronin eine Schlüsselrolle, da sie ihrer Tochter eine Verbindung mit dem Offizier Franz von Visconti aus Standes- und auch eigennützigen Gründen untersagt hatte. Allgemein ging man von einem Freitod des Mädchens aus und gab der Mutter die Schuld daran. Hartnäckig stellte die Familie von Heppenstein den Sturz als Unfall dar. Sie versuchte den Gerüchten und Schmähungen mit einer Verleumdungsklage und Briefen, die Franzisca von Heppenstein an bekannte Persönlichkeiten wie den Dichter Schubart schrieb, entgegenzutreten. Zwanzig Jahre nach dem Schicksalsschlag, von dem sie sich nicht mehr erholte, starb die Baronin 1805 und wurde im Münchner Südfriedhof begraben.
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21. Nordschwäbisch-Mittelfränkisches Forschertreffen 2016 in Wallerstein
Am 15. Oktober 2016 trafen sich im Gasthaus „Goldener Löwe“ in Wallerstein in Schwaben 29 Familienforscher zum 21. Nordschwäbisch-Mittelfränkischen Familienforschertreffen. Manfred Wegele übernahm wie immer die Begrüßung der Teilnehmer und die Moderation der Veranstaltung. Er dankte Herrn Gerhard Beck, dem Initiator der Treffen, für sein jahrelanges Engagement.
Nach der traditionellen Vorstellungsrunde (jeder Teilnehmer stellte sich, sein Forschungsgebiet und laufende Projekte vor), erläuterte Frau Scheller das Programm Hic Leones, mit dem man nach Orten suchen kann, wenn man nur einen Teil des Namens lesen kann. Herr Jörg ist aus der Schweiz angereist, er stammt aus den Niederlanden, hat aber auch eine Vorfahrenslinie in Nördlingen. Einen Teil seiner Unterlagen hat er in den Niederlanden in Archive abgegeben, dort werden sie digitalisiert und stehen nun online zur Verfügung. Herr Bauer informierte die Teilnehmer über das Projekt „Datenabgleich“ der GFF. Er bearbeitet mit dem Fürther Geschichtsverein die ab 1704 bestehende Sammlung von Lebensläufen. Ein wichtiges Thema ist die Sicherung des eigenen Nachlasses, vor allem die Unmenge an digitalen Bildern werden immer mehr zu einer Herausforderung.
Nach dem Mittagessen begann Herr Steger im Gasthaus mit der Geschichte des Marktes Wallerstein, dem Wohnort des Fürsten Oettingen-Wallerstein. Eine Besonderheit des Ortes sind die Häuser, die nicht mit der Giebelseite zur Straße erbaut sind und Krüppel-Walmdächer haben. Die Grafen von Oettingen-Wallerstein (ab 1147) waren „Jünger“ der Staufer, das prägte auch Wallerstein. Der Graf wollte ein kleines „Versailles“ bauen, daher bekamen die Häuser statt der üblichen Satteldächer, Krüppel-Walmdächer. Als nächstes ging er auf die Entstehungsgeschichte des Rieses ein (siehe https://www.geopark-ries.de/entstehung-rieskrater/). Beim Asteroideneinschlag vor 11,8 Mio. Jahren, mit einem Gewicht von 1 Milliarde Tonnen entstand eine enorme Hitze, die zum Verdampfen des Gesteins und bei 1500 Grad zu einer Glutfontäne führte. Ein erkalteter „Glutspritzer“ von damals ging in die Runde. Dabei entstand der Wallersteiner Felsen, ein hochgekanteter Stein, dessen Kern aus Granit besteht und „überzuckert“ ist von Sinterkalk. Auf diesem Burgfelsen stand eine staufische Burg, die im 30-jährigen Krieg am 15.03.1648 zerstört wurde. Aus den Trümmern der Burg erbauten die Bürger ihre zerstörten Häuser und zusätzlich wurden im Laufe der Zeit (bis 1830) ca. 2/3 des Berges abgetragen und als Baumaterial, z.B. für den Straßenbau verwendet. 1626 baute der Graf Johann Albrecht die Maria-Hilf-Kapelle, da der Kindersegen in der Ehe ausblieb. Nachdem seine Frau kinderlos starb, glaubte er, sie wäre verhext worden, und das führte zu 164 Hexenverbrennungen, die jüngste Hingerichtete war 10 Jahre alt! Nach der Zerstörung des Ortes durch den 30-jährigen Krieg wurde das Schloss erbaut und immer wieder erweitert, teilweise auch aufgestockt. 1805 zogen die Armeen durch das Land (100.000 Franzosen), haben es „leergefressen“ und hinterließen einen Schaden von 1 Million Gulden. Zu dieser Zeit ging daher das Geld für den Weiterbau aus. Eine weitere Besonderheit des Marktes ist die Pestsäule in der Mitte der Hauptstraße. Sie wurde erbaut von einem Steinmetz aus Oberndorf bei Rain mit Material aus Neresheim. Der Steinmetz Georg Pschorer wurde vom Grafen in die Böhmischen Erblande geschickt, dort sah er in Prag die Pestsäule und baute sie in Wallerstein nach. Die Dreifaltigkeitssäule besteht aus 6 Seiten und drei Ebenen.
Nach der Theorie begann der Aufstieg auf den Wallersteiner Felsen mit einem herrlichen Rundblick. Vorbei an der Maria-Hilf-Kapelle führte der Weg zur Pestsäule und der katholischen Kirche St. Alban. Unterwegs erklärte Herr Steger sowohl besondere Gebäude, als auch den Baustil und die Pestsäule mit dem Chronogramm. Graf Ernst hatte eine große Hofkapelle, sogar Mozart bewarb sich in Wallerstein. Leider war der Graf damals in Trauer und so zog Mozart weiter nach Salzburg. Antonio Rosetti war längere Zeit Kapellmeister in Wallerstein. Zuletzt führte Herr Steger die Teilnehmer durch die Geschichte der Kirche St. Alban, ein seltener 2-schiffiger Bau. Erbaut 1613-1615 wurde sie 1892 „unglücklich“ restauriert. Die Ausstattung der Empirezeit wurde total zerstört, die zentrale Statue des Alban im Hochaltar wurde zersägt und in halbsitzender Position mit Blick zur Fürstenloge aufgestellt (vorher Blick zur Gemeinde). Erst bei der letzten Renovierung von 1995-2000 konnten diese neoromantischen „Entgleisungen“ etwas abgemildert werden. Von den sechs Seitenaltären der Kirche wurden bei der Renovierung 1890/91 vier entfernt und sind seither verschwunden. Ein Kleinod von hohem künstlerischem Rang war das Fastentuch aus dem Jahr 1517, gemalt vom Nördlinger Stadtmaler Hans Schäufelin. Um 1800 verlor sich der Brauch der Verhüllung des Hauptaltars in der Fastenzeit, das Tuch kam auf den Dachboden. 1812 holte Fürst Ludwig es vom Dachboden und reihte es in das neu gegründete Museum im Schloss ein. 1828 wurde es zusammen mit anderen Kunstschätzen an die heutige Staatsgemäldesammlung in München übergeben. Zuletzt wurden die beiden Epitaphe hinter dem Altar besichtigt.
Bei Kaffee und Kuchen klang der Tag gemütlich im Gasthaus aus. Nebenbei konnte man in Dubletten stöbern, Neuigkeiten, Erfahrungen und Informationen austauschen.
Übersicht der Nordschwäbisch-Mittelfränkischen Forschertreffen
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Öffnung Bibliothek Augsburg
Die Bibliothek der Bezirksgruppe Schwaben wird zusätzlich jeden dritten Donnerstag im Monat von 15:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet.
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